Leitbild Mitbestimmung junger Menschen (als Teil der Landesstrategie)

Demokratie lebt vom Mitmachen und Mitbestimmen. Die Mitbestimmung junger Menschen soll in ganz Thüringen auf allen Entscheidungsebenen gleichermaßen zu einer Selbstverständlichkeit werden. Mitbestimmung beginnt im unmittelbaren Lebensumfeld junger Menschen und findet zuvorderst auf kommunaler Ebene statt. Zudem ist die Mitbestimmung auf Landesebene von Bedeutung. Entscheidungsträger aller Ebenen stehen vor der Herausforderung, Mitbestimmung von jungen Menschen in allen Bereichen neu zu denken. Für junge Menschen sind Entscheidungswege transparent, nachvollziehbar und begreifbar zu gestalten sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten auszuschöpfen, auszubauen oder neu zu schaffen.

Das „Leitbild Mitbestimmung junger Menschen in Thüringen“ soll dafür einen Beitrag leisten und beschreibt Aspekte, die nötig sind, um Mitbestimmung von jungen Menschen in Thüringen als „demokratisches Empowerment“ zu begreifen und gleichzeitig auch zu ermöglichen.

Junge Menschen wollen ihre Umgebung und Lebensrealität mitgestalten. Sie haben ein Interesse daran, das Hier und Jetzt wirksam zu beeinflussen und bei den Weichenstellungen für ihre Zukunft gefragt zu werden. Es liegt zentral im Verständnis von Mitbestimmung begründet, junge Menschen als Expertinnen und Experten in eigener Sache ernst zu nehmen.

Junge Menschen haben ein Recht auf Mitbestimmung als Basis unserer Demokratie, welches auch in Gesetzen und Verwaltungsvorschriften zum Ausdruck kommen muss.

Vorteil Mitbestimmung

Mitbestimmung junger Menschen eröffnet einen Zugewinn für alle Akteure im demokratischen Miteinander: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erwerben Gestaltungskompetenzen, lernen Verantwortung zu übernehmen und gewinnen die Fähigkeit, ihre Standpunkte konstruktiv einzubringen. Die Erfahrung, das eigene Lebensumfeld mitgestalten zu können, bindet zudem an den jeweiligen Ort. Die Identifikation mit der Umgebung steigt. Jede Gemeinde, jeder Landkreis, jede Entscheidungsebene in Thüringen gewinnt an Attraktivität für nachfolgende Generationen, wenn sie die Mitbestimmung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen als Querschnittsaufgabe versteht und Möglichkeiten dafür eröffnet. Dabei ist der landesweite Blick besonders wichtig: Die Möglichkeit zur Mitbestimmung junger Menschen darf nicht zufällig davon abhängen, wo sie in Thüringen wohnen. Mitbestimmung muss in allen Regionen, allen Gemeinden und Städten in Thüringen gleichermaßen möglich sein. Gesellschaftliche Integration und interkulturelle Kompetenzen werden durch Austausch und Verständnis unterschiedlicher Standpunkte gestärkt. Zudem wird der intergenerationale Dialog befördert, innovative und unkonventionelle Lösungsansätze können entstehen und Verwaltungsabläufe können durch passgenaue Entscheidungen effizienter werden. So schafft die Mitbestimmung junger Menschen „Lust auf Zukunft“ und ist dadurch ein wichtiger Faktor, um die Entwicklung des Freistaates Thüringen positiv zu beeinflussen.

Zum Begriff Mitbestimmung

Mitbestimmung hat in der deutschen Sprache viele verwandte Begriffe. Die unterschiedlichen Bezeichnungen wie Partizipation, Mitwirkung, Teilhabe, Teilnahme, Einbeziehung, Beteiligung, Mitgestaltung, Mitsprache etc. mit ihren fachlich unterschiedlichen Bedeutungen werden umgangssprachlich häufig synonym verwendet. In diesem Leitbild wird unter „Mitbestimmung junger Menschen“ verstanden, ihnen ein Höchstmaß an tatsächlicher Mitentscheidung in unterschiedlichen Lebenssituationen zu ermöglichen sowie ihnen Teilhabe an Entscheidungsmacht einzuräumen.

Grundlegend dabei ist eine Haltung von Erwachsenen, junge Menschen als eigenständige Akteure wahrzunehmen und ihnen eine Unterstützung anzubieten, die begleitet, auffordert, sie in ihrer Entwicklung bestärkt und gleichzeitig Entscheidungsprozesse offen lässt.

Formen der Mitbestimmung

Trotz oder gerade wegen der zahlreichen Begriffsbedeutungen gilt: Mitbestimmung ist nicht gleich Mitbestimmung. Grundlage für Mitbestimmungsmöglichkeiten sind rechtzeitige und geeignete Informationen zu den Sachverhalten sowie Aufklärung über deren Auswirkungen. Das jeweilige Maß an Einflussmöglichkeiten wird in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck gebracht:

Mitwirken: Junge Menschen können sich informieren und darüber hinaus Stellung zu den anstehenden Entscheidungen nehmen. Sie erhalten die Möglichkeit, Ideen für die Umsetzung einzubringen, können jedoch nicht über Inhalte entscheiden.

Mitentscheiden: junge Menschen können bei der Entwicklung von Vorhaben mitbestimmen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen werden Ziele ausgehandelt und umgesetzt. Damit haben sie einen großen Einfluss auf die Vorhaben.

Selbstverwalten: Jungen Menschen wird Entscheidungsmacht übertragen. Sie treffen selbst verbindliche und gemeinsame Entscheidungen.

Mitbestimmung: Qualität und Prozess

Um die Mitbestimmung junger Menschen dauerhaft zu verankern, ist es notwendig, dass alle relevanten Akteure auf der jeweiligen Ebene in einen dialogischen Prozess eintreten und eine auf die jeweilige Ebene bezogene Mitbestimmungsstrategie mit überprüfbaren Zielen erarbeiten. Diese ist regelmäßig fortzuschreiben. Junge Menschen sind daran von Anfang an zu beteiligen.

Um die Umsetzung einer solchen Konzeption auf politischen Ebenen zu gewährleisten, bedarf es der Unterstützung durch die politisch Verantwortlichen. Grundlage hierfür ist ein belastbares politisches Mandat in Form eines Beschlusses, der auch die Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen umfasst. Die Mitbestimmung junger Menschen sollte dabei in der gesamten Verwaltung der jeweiligen politischen Ebene als Querschnittsaufgabe verankert sein.

Mitbestimmungsstandards in Thüringen

1. Mitbestimmung ist gewollt und wird unterstützt – eine Mitbestimmungskultur entsteht

Die Mitbestimmung junger Menschen in Thüringen ist auf der jeweiligen Ebene ausdrücklich erwünscht und wird von Entscheidungstragenden aktiv unterstützt. Ihr liegt eine breit getragene Konzeption zugrunde, die wichtige strategische Schritte und überprüfbare Ziele formuliert. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten werden durch Regelungen verbindlich gemacht, sodass alle Mitwirkenden in einem verlässlichen Rahmen agieren können.

2. Mitbestimmung ist für alle jungen Menschen möglich

Alle jungen Menschen haben mit ihren individuellen Möglichkeiten Zugang zu Mitbestimmungsprozessen. Die Angebote sind leicht zugänglich und vielfältig im Hinblick auf Themen, Methoden und Formen. Unterschiedliche Bedürfnisse je nach Alter, Geschlecht, Behinderung, sozialer, sozio-kultureller oder ethnischer Herkunft sowie Bildungsstand werden dabei berücksichtigt. Ort und Zeit der Angebote sind so gewählt, dass junge Menschen sie gut nutzen können.

3. Die Ziele und Entscheidungen sind transparent – von Anfang an

Junge Menschen sowie alle relevanten Akteure werden an der Klärung der Ziele des Mitbestimmungsvorhabens beteiligt. Die Ziele sind verständlich, transparent und nachvollziehbar. Sie sind so offen formuliert, dass im Rahmen des Prozesses ein Gestaltungsspielraum besteht, auch im Hinblick auf die Ergebnisse. Bei langfristigen Vorhaben werden Teilziele formuliert, um Zwischenstände sichtbar zu machen. Darüber hinaus werden die festgelegten Ziele regelmäßig überprüft und aktualisiert.

4. Es gibt Klarheit über Entscheidungsspielräume

In Mitbestimmungsprozessen ist vor Beginn das jeweilige Maß an Einflussmöglichkeiten darzustellen. Mit jungen Menschen wird geklärt, wie viel Einfluss sie innerhalb des Prozesses nehmen können und wie von Seiten der Entscheidungsträger ihre Rolle gesehen wird: etwa als Ideengebende, Interessenvertretende oder Mitbestimmende. Die jungen Menschen erhalten damit Klarheit über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Einflussnahme. Ihre Stimmen sind – soweit möglich – den Stimmen der Erwachsenen gleichwertig.

5. Die Informationen sind verständlich und die Kommunikation ist gleichberechtigt

Es erfolgt eine umfassende und für die jeweilige Zielgruppe verständliche Information über die Mitbestimmungsrechte und -angebote. Wichtige Meilensteine und Ergebnisse werden an alle relevanten Akteure verständlich vermittelt. Die Kommunikation ist gleichberechtigt, kontinuierlich, zeitnah und wertschätzend zwischen allen Beteiligten gestaltet.

6. Junge Menschen wählen für sie relevante Themen

Junge Menschen bestimmen ihre Themenfelder selbst. Diese können ihr unmittelbares Lebensumfeld betreffen, aber auch übergeordnete Fragestellungen sein. Ebenso können durch Erwachsene Themen an junge Menschen herangeführt werden. Dabei sollten sich junge Menschen auch mit der Aushandlung von Allgemeinwohlinteressen auseinandersetzen können.

7. Die Methoden sind attraktiv und adressatenorientiert

Die in Mitbestimmungsverfahren eingesetzten Methoden entsprechen dem Entwicklungs- und Bildungsstand der jeweiligen Adressaten. Die Methoden werden so gewählt, dass sie Zugangsmöglichkeiten zum Prozess eröffnen und nicht zur Ausgrenzung junger Menschen beitragen (z. B. durch hohe Kosten, Sprachbarrieren, etc.). Die eingesetzten Methoden sind vielfältig, sprechen unterschiedliche Sinne an und dienen dazu, junge Menschen zum aktiven Handeln anzuregen und zu befähigen.

8. Es stehen Ressourcen zur Stärkung der Selbstorganisationsfähigkeit zur Verfügung

Mitbestimmungsvorhaben benötigen Zeit und Geld. Die Bereitstellung von Ressourcen und die personelle Begleitung sind darauf ausgerichtet, die Selbstorganisationsfähigkeit junger Menschen zu fördern.

9. Die Ergebnisse werden zeitnah umgesetzt

Konkrete Ergebnisse und Entscheidungen aus Mitbestimmungsprozessen werden so zeitnah umgesetzt, dass junge Menschen die Wirksamkeit ihrer Mitbestimmung erfahren. Im Falle einer fehlenden oder nur teilweisen Umsetzung, gibt es hierfür nachvollziehbare Gründe, die den Beteiligten umfassend und verständlich dargelegt werden.

10. Es werden Netzwerke für Mitbestimmung aufgebaut

Es werden unterstützende Partner gewonnen und ein aktives Netzwerk aufgebaut, um die Mitbestimmung junger Menschen zu fördern und die Synergieeffekte unterschiedlicher Akteure zu nutzen. Die Koordination der Netzwerke ist sichergestellt und es bestehen für alle nachvollziehbare Regeln der Zusammenarbeit.

11. Die Beteiligten verfügen über die notwendigen Kompetenzen für Mitbestimmung

Die beteiligten Akteure verfügen über die erforderlichen personalen, methodischen, kommunikativen, organisatorischen und sachbezogenen Kompetenzen für die Gestaltung von Mitbestimmungsprozessen. Dazu werden die Erwachsenen darin unterstützt, sich mit der eigenen Rolle im Beteiligungsgeschehen auseinanderzusetzen, eine partizipationsfördernde Haltung entwickeln zu können und Partizipationsmethoden kennenzulernen.

12. Stärkung junger Menschen

Junge Menschen werden in der Entfaltung ihrer Mitbestimmungs- und Demokratiekompetenzen unterstützt (z. B. durch Bildungsangebote, begleitende Strukturen). Diese umfassen individuelle Unterstützung, formelle und informelle Lernprozesse. Hierbei werden auch Ansätze der Gleichaltrigenarbeit (Jugendliche qualifizieren Jugendliche – „peer to peer“) genutzt.

13. Mitbestimmungsprozesse werden so gestaltet, dass sie persönlichen Zugewinn ermöglichen

Die Prozesse werden so gestaltet, dass junge Menschen persönlichen Zugewinn erfahren. Dies liegt insbesondere in der Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Gemeinsinn, in anregenden Beziehungen zu Gleichaltrigen und der Erweiterung persönlicher Kompetenzen.

14. Das Engagement wird durch Anerkennung gestärkt

Das Engagement aller Beteiligten, insbesondere jungen Menschen, erfährt öffentliche beziehungsweise institutionelle Wertschätzung und Anerkennung. Dazu dient auch die Beurkundung erworbener Qualifikationen und Kompetenzen.

15. Mitbestimmung wird dokumentiert und evaluiert

Durch eine kontinuierliche Evaluation der Vorhaben wird die Qualität der Mitbestimmungsprozesse weiterentwickelt und Lernprozesse werden ermöglicht. Die Dokumentation und Veröffentlichung von Ergebnissen tragen dazu bei, dass Mitbestimmung in der Gesellschaft wahrgenommen und kontinuierlich weiterentwickelt wird.[1]


[1]        Quellen Leitbild.:
TMBJS: Qualitätsstandards für die Beteiligung von jungen Menschen in der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit sowie in Kommunen. 2016
TMBJS: Junge Menschen formen Zukunft - das Jugendforum als Beteiligungsangebot für junge Menschen in Thüringen. Rahmenleitbild „Jugendforen in Thüringen“. 2017. www.denkbunt-thueringen.de/wp-content/uploads/2018/07/Rahmenleitbild_Jugendforen.pdf, 24.07.2018
TMBJS: (Hrsg., erarbeitet von einem Konsortium): Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre. 2015.